Flensburg – eine suffiziente Stadt?

Die Reihe der kritischen Rundgänge bekommt Zuwachs: verteilt auf sieben Stationen im Altstadtgebiet Flensburg, gibt es nun den suffizienzorientierten Stadtspaziergang. Der Stadtspaziergang hat sieben Stationen, sieben Themen und sieben Gedanken zum Thema Suffizienz und Stadtentwicklung.

Anna Glindemann und Levke Mahrt, die Entwicklerinnen des digitalen Rundgangs, werfen Fragen auf und geben Gedankenanstöße: Wie wollen wir in einer Stadt künftig ressourcenarm und gut gemeinsam leben und wie sollen die Stadträume gestaltet und verteilt sein?

Dabei ist es den beiden wichtig, dass alle Menschen den Stadtspaziergang machen können. Er richte sich sowohl an Menschen mit Hintergrundwissen zum Themenkomplex Suffizienz, als auch an Leute, die wirklich noch nie mit dem Thema in Berührung kamen, betont Levke. Er ist kostenlos und ab Anfang 2021 neben der schon vorhandenen digitalen Version hier auf der Webseite des Transformwerks, auch als App installierbar und damit immer in der Jackentasche mit dabei. Der Rundgang startet am Museumsberg und endet am Kompagnietor, dauert 1,5 Stunden und ist im Grunde eine digitale Schnitzeljagd. Nur, dass am Ende kein Schatz wartet – das wäre ja nicht suffizient.

Einmal durch die Innenstadt – vom Museumsberg zum Kompagnietor. Grafik: Anna Glindemann

Wer steckt hinter dem Stadtspaziergang?

Wie schon erwähnt, sind Anna Glindemann und Levke Mahrt die Initiatorinnen und auch Umsetzerinnen des suffizienzorientierten Stadtrundgangs. Levke ist im Arbeitskreis Rundgänge im Verein aktiv und Anna war Praktikantin bei der Stadt Flensburg im Projekt EHSS (Entwicklungschancen und -hemmnisse einer suffizienzorienterten Stadtentwicklung), das das Norbert-Elias-Center der Uni Flensburg zusammen mit der Stadt Flensburg durchführte. Zur digitalen Abschlusskonferenz sollte der Rundgang einen analogen Ausgleich bieten. Suffizienz in der Stadt betreffe einfach Alle. Deswegen findet Anna es besonders spannend, die Stadt mit dieser Brille zu begehen. Darüber hinaus könne der Ort der Wahl besser verstanden, Probleme erkannt und vielleicht auch nachvollzogen werden. 

Und wie suffizient ist Flensburg?

Diese Frage zu beantworten ist auch für die beiden Suffizienz-Expertinnen nicht einfach. Zu viele Stellschrauben spielen eine Rolle. Anna sieht aber viele Qualitäten in der Stadt und Flensburgs Stadtstruktur habe erhebliches Potential: Nicht zu groß und nicht zu klein. Sie spielt insbesondere auf das Hafenquartier Ost an, das sie als große Chance sieht, Dinge auszuprobieren und eine suffiziente Stadtentwicklung voranzutreiben. Auch das Diakonissenkrankenhaus sei nach dem Zusammenschluss eine große Lücke, die es (suffizient) zu füllen gilt. Levke spricht davon, vor allem im Bereich Wohnen und Bauen, das zu nutzen, was schon da ist. Das kann aufwändiger sein, aber eben auch suffizienter. Hinzu kommt der kreative Spielraum, den solche Leerstände bieten.

Dennoch findet es auch Levke schwierig zu beurteilen, ob Flensburg nun eine suffiziente Stadt ist, oder nicht. Durch das EHSS Projekt ist nun Wissen bereit gestellt. „Es ist jetzt die Frage, wie das Wissen umgesetzt wird“, sagt Anna.

Suffizienz ist eine Tugend: Mit Gottes Hilfe allzeit gerecht und mäßig sein,  bringt großen Gewinn. So steht es am Kompagnietor. Foto: Anna Glindemann

Eine bessere Fahrradinfrastruktur, schlägt Levke vor. Mobilität kann Suffizienzkiller Nummer Eins sein. Mit einem guten Fahrradnetz könnte Flensburg nah an seine skandinavischen Nachbarn kommen, die in Sachen Fahrradstraßen ganz weit vorn liegen. Kopenhagen wurde mehrmals in Folge zur Fahrradstadt gekürt. „Mobilität und Wohnen sind ganz große Themen, die eine Stadt prägen“.

Aber auch offene und konsumfreie Räume, Beteiligungs- und Gestaltungsmöglichkeiten oder (mehr) Reparatur-Räume sehen die beiden als essentiell an, um Flensburg nachhaltiger zu gestalten. Dies fördert die Gemeinschaft und „gemeinsam kann man Strukturen und eine suffiziente Lebensweise fördern“, sagt Anna.

Und wer ist verantwortlich? 

Eine suffiziente Stadtentwicklung muss ja auch wer umsetzen. Die große Frage der Verantwortlichkeit holt also auch die Suffizienz ein. Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Einerseits sei jede:r Bürger:in für die eigene Reduzierung der des Ressourcenverbrauchs im täglichen Leben verantwortlich, aber andererseits auch die kommunale Verwaltung und Politik. Diese haben schließliche die Aufgabe, einfache und bequeme Voraussetzungen für einen lebenswerten Ort zu schaffen, findet Anna. Infrastruktur also. Gerade aber für Politik und Verwaltung scheint es besonders schwierig solche Infrastrukturen bereit zu stellen und gegebene zu ändern, weil hier viele viele Stellschrauben gedreht werden wollen.

Levke fügt hinzu, dass ein:e jede:r Bürger:in auch gewillt sein sollte, sich für eine zukunftsfähige Stadtgestaltung einzusetzen. Für Anna heißt das, bewusster durch die Welt zu gehen: „Wahrnehmen und Aufmerksamkeit kann dazu führen, sich selbst besser zu reflektieren“. Levkes Rezept klingt eigentlich ziemlich simpel: ganz alltägliches Handeln in Frage stellen und Dinge nicht als gegeben hinnehmen.

Veranstaltet wurde dieses Projekt übrigens vom Transformativen Denk- und Machwerk e.V., einem gemeinnützigen Verein aus Flensburg. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, möglichst viele Menschen mit Wissen und Ressourcen so zu ermächtigen, dass sie an einer sozial-ökologischen Transformation mitwirken können. Dafür organisieren wir seit 2018 Vorträge und Workshops, bieten alternative Stadtrundgänge an und vernetzen Menschen, die sich im Feld zwischen Wissenschaft und (aktivistischer) Praxis.

Also: Rein in den Wintermantel, raus in die schöne Kälte Flensburgs und die Stadt einmal anders entdecken!